Aussichtsloser Kampf um den verlorenen Osten

 

Kommentar von Cathrin Kahlweit*

 

Zwei Stunden Gespräch von Angesicht zu Angesicht sind mehr als ein Handschlag vor Kameras, ein Treffen ist besser als ein Telefonat, der Austausch von Zusagen erfreulicher als der Austausch von Beschimpfungen. Gleichwohl ist das Ergebnis des Gipfels von Minsk, bei dem der ukrainische und der russische Präsident aufeinandertrafen, kein Erfolg gewesen. Höchstens ein winziger Hoffnungsschimmer im Dunkeln.

 

Denn Wladimir Putin zog sich, geschickt wie immer, aus der Affäre, indem er seinen Willen zum Frieden bekundete, aber seine Verantwortung für den Frieden negierte. Sein Schlüsselsatz lautete: "Russland wird alles für den Friedensprozess tun, falls dieser beginnt." Falls - das bedeutet: Wenn Petro Poroschenko mit den Separatisten in der Ostukraine verhandelt. Falls. Das bedeutet, dass die Ukraine gern versuchen kann, ihren Friedensplan umzusetzen.

 

Aber fast alles, was darin enthalten ist - die Waffenruhe, die Pufferzone an der Grenze, die Entwaffnung der Kämpfer, der Abzug russischer Söldner, der Rückzug der Separatisten aus den Verwaltungsgebäuden - müsste Moskaus Satrapen abgerungen werden, bevor sich, theoretisch, in einem zweiten Schritt, die politischen Reformen anschließen könnten.

 

Der Donbass wird nicht unter Kiews Kontrolle zurückkehren

 

Putins Argument, dass er mit alledem nichts zu tun habe, ist dabei auf zynische Weise richtig und folgt einer zwingenden Logik. Denn solange der Kreml negiert, dass die russische Armee eigene Soldaten, Offiziere, Geheimdienstleute und schwere Waffen in den Donbass schickt, muss der russische Präsident bei dieser Haltung bleiben. Solange der Kreml bestreitet, dass er im Osten der Ukraine Regie führt, können aber auch keine ehrlichen Verhandlungen geführt werden.

 

Das Fatale am Treffen von Minsk ist: All das ist hinlänglich bekannt. Neu sind nur einige Details. So hat Moskau seine Taktik im Donbass geändert. Die Russen, die bei Miliz und Verwaltung das Sagen hatten, wurden abgezogen; Wortführer sind jetzt wieder lokale Kräfte. Weil man sich von denen besser distanzieren kann?

 

Weil Kiew sonst über eine Feuerpause doch mit Russen sprechen müsste, was peinlich für Moskau wäre? Zugleich infiltriert die russische Armee das Grenzgebiet mittlerweile ziemlich ungeniert mit Konvois, Soldaten und Panzern. Das schürt die Angst in der Ukraine, sodass schon kleinste Zugeständnisse aus Moskau dankbar begrüßt werden.

 

Der Winter naht, die Verzweiflung wächst

 

Derweil steigt die Zahl der Toten, der ukrainischen Armee fehlt es an fast allem, die Freiwilligen-Bataillone sind schlecht ausgebildet, die Zahl der Desertionen nimmt zu. Der Winter naht, und die Verzweiflung über eine schier unlösbare Aufgabe wächst, aller patriotischen Emphase zum Trotz. Denn nach einem baldigen Sieg, an den in der Ukraine ohnehin niemand so recht zu glauben wagt, müssten die finanziellen, politischen und vor allem emotionalen Aufräumarbeiten beginnen: der enorm teure Aufbau einer zerstörten Region.

 

Und die schwierige Annäherung an jene entfremdeten, verbitterten Bürger, die trotz der massiven Kämpfe geblieben sind. Die aber haben mittlerweile genauso viel Hass auf die ukrainischen Granaten entwickelt wie auf die russischen. Es ist zu bezweifeln, dass mehr Macht für die Regionen, wie Poroschenko sie plant, an der Zerrüttung und dem allseitigen Misstrauen viel ändern würde.

 

Was bleibt Poroschenko zu tun?

 

Zwar gilt: Auch Putins Separatisten können die zertrümmerten Reste einer heruntergekommenen Industrielandschaft in einem feindlichen Umfeld nicht dauerhaft halten und regieren wollen. Aber die andauernden und aus Russland befeuerten Kämpfe reichen für eine permanente Destabilisierung der Ukraine. Und sie reichen, um Poroschenko und seinen Friedensplan zu desavouieren, der nur mit, nicht gegen Moskau durchsetzbar ist. Wladimir Putin muss also nicht viel tun, er kann abwarten und den Zustand vorerst in der Schwebe halten.

 

Was aber bleibt Präsident Poroschenko, was bleibt der Regierung in Kiew zu tun? Sie muss die Bevölkerung, wohl oder übel, darauf vorbereiten, dass der Teil des Donbass, der noch immer in der Hand der prorussischen Kräfte ist, verloren ist - entweder, weil die Rückeroberung zu viele Menschenleben kosten und den schweren Konflikt mit Moskau noch verschärfen würde; oder weil tatsächlich Verhandlungen mit den Separatisten geführt würden, die aber kaum je in einer Umsetzung von Poroschenkos Friedensplan münden würden.

 

Der sieht zwar eine Verfassungsänderung, den Schutz der russischen Sprache und neue Arbeitsplätze in der Region vor, alles gut und richtig. Nur: Damit würden die Separatisten die Entscheidungsgewalt über den Donbass an Kiew zurückübertragen. Und danach sieht es derzeit nun wirklich nicht aus.

 

*Cathrin Kahlweit: Studium Russisch und Politik in Eugene (USA), Tübingen, Göttingen und Moskau; danach Hamburger Journalistenschule von Gruner & Jahr. Freie Arbeit für die Zeit, das Bayerische Fernsehen, P.M., ab 1989 Redakteurin bei der SZ: mehrere Jahre in der außenpolitischen Redaktion, dann Korrespondentin für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland, Rückkehr nach München in die innenpolitische Redaktion mit Schwerpunkt Familien- und Gesellschaftspolitik, drei Jahre Leitung der Seite 2 (Themen des Tages). Wechsel nach Berlin als Redaktionsleiterin der Talk-Show "Anne Will", Rückkehr zur SZ in die Außenpolitik, heute Korrespondentin in Wien. Buchautorin; Mutter von drei Kindern.