Zum Aufwärmen nach
8.
Jan 2014
Die
USA werden vom Nordpol überrollt. Oder zumindest von der Luft, die sonst dort oben sitzt
und für das sprichwörtlich polare Klima zuständig
ist. Am Polarkreis unterdessen fragt sich vermutlich mancher Eisbär, warum seine Winterhöhle am schmelzen ist.
Bethel,
Alaska liegt auf fast 61° nördlicher
Breite und geniesst im Januar üblicherweise
eine durchschnittliche Tageshöchsttemperatur von -10,9° Celsius. Seit einigen Tagen
liegen die Temperaturen dort allerdings sogar in der Nacht
über dem Gefrierpunkt und erst ab morgen dürfte
das Quecksilber wieder unter null (oder 32° Fahrenheit)
fallen. An anderen Orten in
Alaksa ist es zwar noch
gefroren, aber es dürfte doch
etwas merkwürdig sein, wenn es
an der winterlichen Beringstrasse 10°C wärmer ist, als in Nashville, Tennessee,
wo frostige - 16°C herrschen.
Wer schon mal im Süden der
USA unterwegs war und die dortigen
Häuser und vielfach auch Wohnanhänger und deren Isolierung kennt, sorgt sich
schnell mal um jene, die dort jetzt versuchen,
ihre Unterkunft auf halbwegs menschenwürdige Temperaturen zu bringen. Die Klimaanlagen, die im Sommer absolut
essentiell sind, bringen derzeit keine Linderung und die Gefahr, von Stürmen, die auch die im Ortsbereich
überirdischen verlegten Stromleitungen runter reissen und so die einzige Möglichkeit zum Heizen zu Nichte
machen könnten, ist mehr als
nur ein abstraktes
Schreckensszenario.
Ein Austausch von
polaren und gemässigten Luftmassen im Winter ist eigentlich normal - nur in viel kleinerem
Ausmass. Normalerweise bewegen sich kleinere
Systeme aus einer kreisenden Luftmasse über der Arktis (dem
polaren Vortex) nach Süd-Osten und bringen Winterwetter nach Amerika und Europa. Doch dieses Mal wurden die kleineren Systeme an ihrem Vordringen nach Osten (also zu uns) durch
ein stabiles Hochdrucksystem
über Grönland und dem nordöstlichen Kanada blockiert. Komme dazu, dass
der arktische Kaltluftkreisel in den letzten Jahren immer instabiler
geworden sei. Was wir derzeit sehen,
passe perfekt in das «Arktische Paradox», welches zu einer wärmeren
Arktis und winterlich kalten Kontinenten führe.
Zum vorher genannten Hochdrucksystem im Osten kommt
noch eines über dem Pazifik,
vor dem westlichen
Kanada, welches den Jet
Stream in den Norden hinauf
und danach wieder runter nach Südosten
ins Zentrum der USA zwingt - eine Luftströmung
die extreme Kaltluftausbrüche wie
den jetzt in den USA statt findenden - noch fördert. Wenn jetzt
praktisch die ganze arktische Kaltluft von Kanada - weder von Gebirgen gebremst, noch von Meeren erwärmt- durch die USA hinunter rauscht und selbst im sonst
frostfreien Süden die Zähne klappern lassen wird, spielen
die oben erwähnten Wetterphänomene auf fatale Weise perfekt
zusammen.
Ob
diese Wettermuster (ein ähnliches brachte
uns den letzten, super langen Winter nach Europa) wirklich durch die sich rasch erwärmende Arktis und dem damit einhergehenden Verlust an Meeres-Eis verursacht werden, ist für Klimawissenschaftler
noch umstritten. Ein Spezialist vergleicht es mit
einem Gerichtsfall, bei dem Indizien
gesammelt werden, aber keine direkten
physischen Beweise vorliegen.
Ab dem nächsten Freitag dürfte der Eisspuk
in den USA vorbei sein und der Sturm, der jetzt auch noch
riesige Schneemassen bringt, auf den Atlantik raus ziehen. Ob er dann zu
uns kommt und auch bei uns
noch so was wie Winter bringt, oder wieder
nur die Südseite eingeschneit wird, lässt sich noch
nicht genau sagen.
Was
sich hingegen nach den letzten Jahren sagen lässt,
ist, dass sich die klimatischen Verhältnisse auf unserem Planeten immer mehr in Richtung von extremen verschieben: Jahrhundertfluten, Jahrhundertstürme,
Jahrhunderthitze, -dürren
und -kälteeinbrüche sind Standardprogramm geworden und auch die verursachten Schäden gehen stetig
nach oben. Das Argument,
das liege nur an verfehlter
Siedlungspolitik, verfängt dabei nur teilweise:
Wenn halb New York von einem Supersturm platt gemacht wird
und dabei alte Stadtteile zerstört werden, liegt das nicht daran, dass
an einem speziell riskanten Ort gebaut wurde.
Dass die Klimadebatte
trotz dieser Ereignisse ins teilweise kindische abgeglitten ist und die Wissenschaft hinter
die Rhetorik zurück gedrängt wurde, ist bedenklich und gefährlich. Doch es sollte irgendwie
einleuchten, dass, wenn man zum Aufwärmen
von Tennessee nach Alaska gehen
kann, etwas nicht mehr wirklich
stimmen kann. Vor allem, wenn
dies droht, dank der neuerdings üblichen atmosphärischen Strömungsmuster, zum Normalfall zu werden.