Auf allen Kanälen

 

Der Kreml nutzt seine enorme Medienmacht, um eine Parallelwelt aufzubauen, in der Russland einem Angriff aus dem Westen ausgesetzt ist. Fernsehsender schüren Urängste und werden zum Teil des Waffenarsenals im Ukraine-Konflikt.

 

von Friedrich Schmidt, MOSKAU

 

Die russische Führung legt Wert darauf, nichtTeilnehmer“ desinnerukrainischen Konflikteszu sein. Offiziell sind keine russischen Soldaten in der Ukraine. Die neue Führung in Kiew hat Moskau anerkannt und verkündet, man respektiere die Souveränität der Ukraine. Die „Volksrepubliken“ von Donezk und Luhansk erkennt Russland dagegen weiter nicht an, formell auch nicht, der eigenen Ankündigung zum Trotz, die Wahlen Anfang dieses Monats. Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn man den russischen Staatsmedien folgt. Da erscheinen die „Volksrepublikenlängst als Volksrepubliken. Da haben die dortigen Wahlen „in Überstimmung mit europäischen Standardsstattgefunden, wie der Sender Rossija 24 berichtete. Da sind die Separatisten längst die „Herren jener Region“, als die sie Präsident Wladimir Putin schon Mitte April bezeichnete.

 

Die Führung nutzt ihre nahezu ungebrochene Medienmacht, um eine Parallelwelt aufzubauen, in der Russland einem Angriff aus dem Westen ausgesetzt ist. Mehr als 90 Prozent der Bewohner Russlands beziehen ihre Informationen aus dem Fernsehen. Auch nach außen wirken des Kremls Sender, erreichen die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine, den baltischen Staaten, auch in Deutschland. Eigens an fremdsprachiges Publikum richtet sich der Sender RT, dessen Budget 2015 um 41 Prozent auf mehr als 265 Millionen Euro erhöht wird. Er soll künftig auch auf Französisch und Deutsch senden, eine erste deutschsprachige Sendung gibt es bereits. Man will eine andernorts angeblich unterdrückterussische Sichtweiseverbreiten. Um Journalismus, um redliches Bemühen um Wahrheit geht es dabei nicht – die Medien sind Teil des russischen Waffenarsenals.

 

Medial geschürte Urängste

 

Wie effektiv der Kreml sie einsetzt, zeigt sich mit Blick auf die Ukraine. Mit Beginn der Proteste auf dem Kiewer Majdan begann eine Kampagne, um die Ereignisse dort alsMassenunruhen“ und als westliche Verschwörung darzustellen, um die Bewegung gegen Korruption und für Demokratie zu diskreditieren. Besonders geschickt erwies sich der Rückgriff auf Sprache und Feindbilder des Zweiten Weltkriegs, auf „Faschisten“ und eine „Junta“, die nach der Flucht von Präsident Viktor Janukowitsch angeblich in Kiew herrsche. In diesem Weltbild wirkt jeder Widerspruch wie Vaterlandsverrat. Die medial geschürten Urängste vor dem Faschismus erleichterten die Eroberung der Krim. Es folgte der angeblicheGenozidim Südosten der Ukraine, der für die Kremlmedien schon Wirklichkeit war, ehe dort jemand zu Tode gekommen war. In diesem Bild sind außerordentliche Maßnahmen zur Rettung der russischsprachigen Ukrainer legitim und nötig.

 

Die Kremlmedien beschränken sich nicht auf die Übertreibung der Rolle realer Extremisten auf ukrainischer Seite. Beispiele für Desinformationen sind Legion. Mitte März schnitt RT ein Interview mit einem Rabbi in Simferopol, der Hauptstadt der Krim, so, dass es wirkte, als verlasse er die Krim wegen einer Welle des Antisemitismus in der Ukraine. Tatsächlich verurteilte der Mann das russische Vorgehen und gab dies als Grund an, warum er weggehe. Mitte Mai zeigte der Sender Rossija 1 die Leiche eines Mannes, der angeblich kein Aufständischer gewesen und von Soldaten der ukrainischen Nationalgarde nahe Slawjansk getötet worden sei. Tatsächlich waren die Bilder im selben Programm eineinhalb Jahre zuvor in einer Reportage über eine Operation russischer Spezialkräfte gezeigt worden. Nach den Präsidentenwahlen in der Ukraine berichtete der Sender Perwij Kanal, der Anführer des „Rechten Sektorshabe mit 37,13 Prozent der Stimmen gewonnen. Tatsächlich bekam er 0,7 Prozent. Ende Juni berichteten mehrere Sender von Massentötungen durch die Nationalgarde im Dorf Saurowka im Gebiet Donezk. Ein Separatist sagte, die Leute seien in Stücke zersägt, die Frauen vergewaltigt worden. Ein Journalist der ZeitungNowaja Gasetawiderlegte das vor Ort. Doch ist die Öffentlichkeit für solche Richtigstellungen beschränkt, ebenso wie für Projekte wie die ukrainische Website www.stopfake.org, die in russischer und englischer Sprache die Schreckensmärchen der Kremlsender widerlegt. Ein besonderer „Coupgelang Perwij Kanal Mitte Juli: Eine Frau in einem Flüchtlingslager in Russland erzählte dem Sender, ukrainische Kämpfer in Slawjansk hätten einen drei Jahre alten Jungen gekreuzigt. Dass russische, nicht kremltreue Journalisten die Geschichte bald widerlegten, tat ihrer Verbreitung keinen Abbruch.

 

Aktive Mythenbildung

Es geht nicht nur um aktive Mythenbildung. Die von den Kremlmedien verbreiteterussische Sichtweiseist häufig eine Reaktion auf Ereignisse, die dem Bild, das die Führung vermitteln möchte, zuwiderlaufen. Als sich im Spätsommer die Berichte über in der Ukraine gefallene russische Soldaten häuften, griffen Kremlsender das Thema auf, doch hier waren die Männer freiwillig und im Urlaub in den Kampf gezogen. Nach dem Ende von Flug MH17 über der Ostukraine am 17. Juli verbreiteten Sender wie RT viele Theorien zur Ursache, vom Abschuss durch ukrainische Kräfte vom Boden oder aus der Luft bis hin zu der These, die Passagiere seien schon vor dem Absturz tot gewesen. Die Versionen widersprechen einander, ihnen ist freilich gemein, dass sie eine mögliche Verantwortung der Separatisten ausschließen.

 

Erst am Freitag voriger Wochepünktlich zu dem Zeitpunkt, als das Thema zu Putins Besuch des G-20-Gipfels wieder aktuell wurdepräsentierte Perwij Kanal ein angeblichessensationellesFoto, das den Abschuss der Boeing der Malaysian Airlines durch ein Kampfflugzeug zeige. Journalisten entlarvten sie als Fälschung unter Zuhilfenahme verschiedener Karten und Bilder aus dem Internet. Das Ziel solcher Berichte ist es, Verwirrung und Misstrauen zu stiften. Zumindest soll suggeriert werden, eine Wahrheitsfindung sei unmöglich.

 

Alles käuflich, alles Propaganda?

In Russland arbeitet die Propaganda mit mehreren Ebenen. Wer zum Beispiel nicht an ein drohendes Blutvergießen auf der Krim glaubt, mag einer der geopolitisch inspirierten, mithin gleichsam salonfähigeren Verschwörungstheorien anhängen wie der, die Nato habe Russland die Flottenbasis in Sewastopol wegnehmen wollen, Putin daher auf der Halbinsel eingreifen müssen. „Die anderen lügen ja auch“, ist der resignierte Tenor solcher Gespräche in Russland oft: Alles sei käuflich, alles Propaganda.

 

Das ist auch Ziel der Propagandaoffensive im Westen. Wer schon nicht Putin glaubt, soll wenigstens den anderen auch nicht glauben, also warum dann Sanktionen? Für ihre Medien nutzt die Führung im Westen die Freiheiten, die sie in Russland beschneidet, wo kritische Medien immer wieder verwarnt werden. Jüngst traf es den Radiosender Echo Moskwy für ein Liveinterview mit einem Journalisten, der für die Zeitung „Los Angeles Times“ in Donezk war. In dem Schreiben der Medienaufsichtsbehörde hieß es, das Programm habeInformationen enthalten, die Kriegsverbrechen rechtfertigen“. Klar war nur, dassVerbrechender ukrainischen Seite gemeint waren. Denn noch nie hat die Behörde ein Kremlmedium verwarnt, das Kiew zu Unrecht beschuldigt hat.

 

*Friedrich Schmidt wurde 1980 in Kiel geboren. In Passau und Berlin studierte er Jura, in Paris am Institut d’Etudes Politiques und an der Sorbonne. Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Im Juni 2008 Eintritt in die politische Redaktion der Zeitung. Seit Januar 2014 politischer Korrespondent für Russland, Weißrussland, den Kaukasus und Zentralasien mit Sitz in Moskau.