Droht New Yorks Kakerlaken der Kältetod?
Sie überstehen Atombomben-Angriffe, Hunger und Vergiftungen.
Nur wenn es kalt wird,
bekommen Schaben Probleme. So reagieren New Yorks Kakerlaken auf den harten Winter.
VON
DENA KELISHADI
10.
Januar 2014
New
York ist eine Stadt von Einwanderern, das gilt auch für die tierischen
Bewohner im Untergrund. Periplaneta americana, die Amerikanische Großschabe kam erst Ende des 17. Jahrhunderts auf dem Seeweg aus Afrika
an den Big Apple. Heute gibt es weltweit
nur noch zwei Regionen, die sie nicht erobert
hat: den Nord- und den Südpol. Der
Grund: Kälte ist der schlimmste
Feind der Kakerlake. Alles andere kann sie
ab – egal, ob man ihr Beine ausreißt,
Gift verabreicht oder sie radioaktiv bestrahlt.
Hat
die tagelange Eiseskälte,
die den Norden der USA zuletzt im Griff
hatte, der sonst so harten Großschabe womöglich den Garaus gemacht? Im Nordosten war es sogar kälter
als am Südpol. Gerade in New York gab es einen Temperatursturz von fast 30
Grad auf minus 16 Grad Celsius Anfang der Woche. Zu
viel für die Schaben?
"Nein",
sagt Dominic Evangelista, Biochemie-Doktorand
von der Rutgers-State-University in New Jersey. Die Kakerlaken dürften auch dieses extreme Frostwetter überlebt haben – und das obwohl sie eigentlich
schon ab Werten um vier Grad Celsius über Null in eine lebensbedrohliche Starre verfallen. Die Insekten seien klug genug,
um sich in Sicherheit zu bringen. "Im Winter verändern die Tiere ihr Verhalten.
Je kälter es wird, desto tiefer
verkriechen sie sich", sagt Evangelista.
Frostschutz im Blut
Mit ihren ziemlich platten Körper können Schaben
unter kleinste Ritzen in Schlupflöcher krabbeln. Besonders in U-Bahn-Tunnel, Heizungsschächte und
Hauskeller verziehen sie sich gern,
weil diese Orte neben Wärme
auch feuchte Luft bieten. Das Tempo, in dem es kälter
geworden ist, wird den Insekten kaum etwas ausgemacht
haben, denn sie sind flink.
Wissenschaftler haben beobachtet: Für eine Strecke von 1,60 Metern brauchen sie eine Sekunde.
"Ich bin sicher, dass sie einen
wärmeren Ort aufgesucht haben," sagt Evangelista.
Im Körper der aus einer
sehr kalten Region Japans stammenden Kakaerlakenart Periplaneta japonica, auch Yamato
genannt, entdeckte man sogar eine chemische
Frostschutz-Substanz, die vor
dem Kältetod schützt. Evangelista und seine Kollegin
Jessica Ware haben erstmals
nachgewiesen, dass diese Art auch in New York vorkommt. In ihrem kürzlich erschienenen Artikel im Journal of Economic
Entomology schreiben sie,
die Kakerlake habe New York
wahrscheinlich über einen importierten Blumenkübel erreicht. Der Fundort der
Yamato-Schabe, die High Line in Manhatten,
ist eine knapp zwei Kilometer lange, grüne Spaziermeile,
die auf ehemaligen Bahngleisen
gepflanzt wurde. Untersucht wurde das Tier von
Lyle Buss vom Insektenbestimmungslabor
der Uni Florida.
Die
Kälteresistenz der Yamato-Schaben ist herausragend.
Forscher haben in verschiedenen Experimenten Tiere eingefroren und wieder aufgetaut, in Schnee eingebuddelt und tagelang abgewartet – dank der zuckerhaltigen Flüssigkeit im Blut hielten die Tiere Temperaturen bis zu minus 30 Grad Celsius aus. "Japanische Kollegen haben herausgefunden, dass selbst die Jugendstadien dieser Schaben im Schnee überleben
können", sagt Ware.
Kakerlaken gibt es in New York zwar überall, aber erforscht
ist ihr Verhalten
bisher wenig. Man könnte sagen, Ware, Buss und
Evangelista gehören mit ihrer Schabenforschung zu den Pionieren. Erst seit einigen
Jahren zeigen mehr Forscher Interesse an dem nur schwer
zu bekämpfenden Ungeziefer. "Kakerlaken sind aus genetischer
Sicht faszinierend, weil ihre DNA so enorm vielfältig ist", sagt Evangelista. Es gebe unzählige Mutationen, "die wirklich
cool aussehen."
Konkurrenz aus Japan
Auch das National Cockroach Project an der New Yorker Rockefeller University ist
Teil der neuen Kakerlaken-Forschung. Vergangenen Sommer wurden Amerikaner aufgerufen, Amerikanische Großschaben, vorzugsweise tot, einzuschicken oder persönlich vorbeizubringen. Daraus soll eine
DNA-Datenbank aufgebaut werden.
Die
Schaben haben es auch Michael Scharf von der Purdue-Universität in Indiana angetan.
"Sie sind so tough und
besitzen solch eine reproduktive Kraft", sagt er. Noch
ist nicht klar, inwiefern die besonders angepasste Yamato-Kakerlake der heimischen
Schabe in New York Konkurrenz
machen wird. Scharfs Ansicht nach sollte man die kabbelnden Einwanderer aus Japan unbedingt weiter beobachten. "Eine Invasion ist zwar noch nicht
absehbar," sagt er. "Aber das heißt nicht, dass
man sich keine Sorgen machen muss."