Amis haben das bessere Parteiensystem
Keine scheiternden Koalitionen, die Wähler müssen kaum Präferenzen
kalkulieren, politische Bewegungen werden absorbiert: Amerikas Zweiparteiensystem hat viele Vorteile.
VON
ERIC T. HANSEN
25.
September 2013
Die
Deutschen wählen aber komisch. Wenn
ein Amerikaner wählt, will er, dass seine Partei gewinnt, deswegen wählt er ja
auch die Partei, die er will. Und siehe da: Nach der
Wahl wissen mindestens 51 Prozent der Amerikaner,
dass ihre Partei auch gewonnen
hat. Das ist simple Mathematik.
Wenn ein Deutscher wählt, kalkuliert er mit
gehobener Wahrscheinlichkeitsrechnung:
"Ich will, dass die SPD gewinnt, also wähle ich die Grünen,
damit sie koalieren können", und am Ende kommt genau
das dabei raus, was niemand wollte: eine Große Koalition,
zum Beispiel.
Mit meinen Freunden diskutiere ich oft, welches System besser ist: ein
Zweiparteiensystem wie in Amerika, wo eine
Partei immer gewinnt und allein die Regierung stellt, oder ein Koalitionssystem
wie in Deutschland, wo niemand weiß, wem
seine Stimme am Ende nützt? Die Debatte endet meist unentschieden,
doch oft erstaunen mich die Argumente meiner Freunde. Zum Beispiel die Vorstellung, das ein Koalitionssystem, in dem mehr Parteien zur
Auswahl stehen, auch "mehr" Demokratie biete. Ist eine Frau, die demnächst Zwillinge zur Welt bringt, im Vergleich zu
einer Frau, die nur ein Einzelkind erwartet, "schwangerer"?
Tea-Party-Bewegung ist genial vorgegangen
Ich finde die fragilen europäischen Koalitionssysteme faszinierend, aber als Ami frage
ich mich, warum ihre Instabilität
niemanden stört. Dass Koalitionen leicht zerbrechen, sah man schon öfter
in der deutschen Geschichte,
zum Beispiel 1982, als die FDP mitten in der Amtszeit aus
der Koalition mit der SPD
austrat und damit der CDU die Macht
schenkte – einfach so. Dabei hatte die FDP nur 10,6 Prozent
der Wählerstimmen gehabt: Eine Minderheitenpartei
hat allein entschieden, wer regiert, und die Wähler hatten in der Sache nichts
zu melden.
Ein weiteres
Argument für das Koalitionssystem
lautet, dass es neue Parteien
möglich mache und damit die Erneuerung der politischen Landschaft insgesamt.
In
Amerika haben neue Parteien in der Tat keine Chance. Auch wir haben
zwar eine Green Party und eine Pirate Party, aber jeder Wähler weiß,
dass eine Stimme an sie eine
verschenkte Stimme ist. Also kommen sie auch nie
richtig zu Potte. Da lobe ich mir das Koalitionssystem,
in dem neue Parteien jederzeit an die Macht kommen können.
Das
heißt, ich lobte mir das System, bis ich die Tea Party kennenlernte.
Egal, was man von ihren
Inhalten hält, kann man nicht genug betonen, wie genial die Tea-Party-Bewegung
vorgegangen ist – eben, weil es
keine Partei, sondern nur eine
"Bewegung" war. Als
Partei hätte sie nämlich keine
Chance gehabt, an die Macht
zu kommen. Als eine Bewegung
innerhalb der Republican
Party aber schon: Da hat sie die Politik Amerikas auf Jahrzehnte geprägt.
Inzwischen frage ich mich, was passiert
wäre, wenn die AfD sich nicht
als eigene Partei gegründet, sondern nur als
Bewegung innerhalb der CDU/CSU agiert
hätte. Viele konservative Wähler hegen ja durchaus
Sympathien für den
Anti-Euro-Kurs der kleinen Partei. Nur, sie würden
sie nie wählen,
denn diese Stimme ginge der
CDU/CSU verloren.
Stellen Sie sich vor, die Anführer
der AfD, anstatt eine eigene
Partei zu gründen und sich großzügig als Parteichefs
auszurufen, hätten kontinuierlich folgenden Aufruf verbreitet: "Leute, werdet Mitglieder
in der CDU/CSU, geht zu jeder
Veranstaltung und sprecht euch lautstark gegen den Euro aus, verteilt dort Flugblätter,
holt euch Alliierte und Geldgeber für unsere
Sache, geht allen gehörig auf die Nerven, bis die Parteiführung keine Wahl hat, als gegen den Euro umzuschwenken."
Genau das nämlich
hat die Tea Party gemacht, und sie
waren damit erfolgreich. Die AfD, da gehe ich
jede Wette ein, hätte das auch geschafft. Und nicht nur sie:
Auf diese Weise hätten auch die Piraten die SPD erneuern und verjüngen können. Oder die Grünen: Stellen Sie sich vor,
in den 1980ern hätten die Grünen
keine Partei gegründet, sondern eine Bewegung innerhalb
der SPD. Heute wäre die SPD jünger, grüner
und erfolgreicher. Und am wichtigsten:
Sie hätte mal einen wirklich interessanten Spitzenkandidaten für das Bundeskanzleramt: Joschka Fischer.
Schon mathematisch ist es sinnvoller,
innerhalb einer großen Partei eine
Bewegung zu starten, als eine
eigene Partei ins Leben zu rufen.
Die Chancen der CDU/CSU oder der
SPD, in eine Regierung zu kommen,
stehen alle vier Jahre in etwa
bei 50 Prozent. Die Erfolgsaussichten einer kleinen Partei, mitzuregieren, sind ungleich geringer – vermutlich weniger als 25 Prozent, denn der große
Koalitionspartner hat ja meist die Auswahl zwischen mehreren Partnern.
Kleine Parteien haben den Vorteil, dass man dort leichter
Karriere macht, aber machtpolitisch sind sie wie
das Mauerblümchen, das nur zum Tanzen aufgefordert
wird, wenn die hübschen Mädchen schon weg sind.
Irgendwann kommen sie schon zum
Tanzen, wenn sie lange genug
herumstehen, aber nicht oft genug,
um richtig gute Tänzer zu werden.
Allerdings gibt es ganz leise
Anzeichen dafür, dass sich die Einstellung
mancher Deutscher ändert. In Bayern regiert die CSU
mit absoluter Mehrheit und
in der Bundestagswahl hat
die CDU/CSU beinahe die
absolute Mehrheit erreicht.
Vielleicht kommen immer mehr Wähler
auf die Idee, sie könnten einfach mal die Partei wählen, die dann tatsächlich an die Regierung kommen soll.